Mit dem Journalismus der großen Häuser ist Melisa Erkurt nie
wirklich warm geworden. Deshalb hat sie mit Die_Chefredaktion
ein Projekt gestartet, das so ist, wie es die etablierten Medien ihrer Ansicht nach längst sein müssten: divers, jung, digital. 5 Fragen an Erkurt.
Wien – Melisa Erkurt wurde 1991 in Sarajevo geboren. Ihre Mutter flüchtete mit ihr zu Beginn des Jugoslawienkriegs nach Österreich. Ihre journalistische Laufbahn begann beim Magazin „Biber“, später arbeitete sie für das ORF-Magazin „Report“. Anfang des Jahres hat sie Die_Chefredaktion, ein Medium für junge Menschen auf Instagram, gestartet. Sie ist Kolumnistin der Berliner „taz“ sowie des „Falter“ und betreibt den Ö1-Podcast „Sprechstunde“. Fünf Fragen:
1. Anlässlich der Gründung von Die_Chefredaktion haben Sie ziemlich deutlich gemacht, dass Sie in Bezug auf Diversität keine Lust mehr auf die Lippenbekenntnisse der Branche haben. Woran liegt es denn, dass sich trotz des oft geäußerten Willens nichts ändert?
Melisa Erkurt: Man stellt eben einfach Leute ein, die einem selbst ähneln. Man sieht Talent dort, wo man sich selbst wiedererkennt. In jungen Migrantinnen und Migranten erkennen sich die Menschen, die Personalentscheidungen treffen, aber nun mal nicht wieder. Ich glaube also, dass es schon ohne Diversität in den Auswahlpositionen gar nicht gehen kann. Dann kommt noch hinzu, dass sich junge Menschen aus nichtakademischen Milieus in Österreich oft gar nicht trauen, sich bei den großen Häusern zu bewerben.
2. Wie wollen Sie dieses Vertrauen herstellen?
Ich glaube, dass es bei uns bereits eine niedrigere Hemmschwelle gibt, weil ich als Ansprechpartnerin auch Migrantin bin. Tatsächlich habe ich auch schon einige Bewerbungen von Menschen mit Migrationsgeschichte bekommen. Aber es sind ehrlicherweise immer noch viel zu wenige. Die meisten Bewerbungen kommen auch bei uns von weißen jungen Frauen mit einem klassischen bildungsbürgerlichen Lebenslauf. Ich werde deshalb nicht einfach aus den ersten zehn hervorragenden Einsendungen das Team auswählen, sondern dem ganzen Prozess Zeit geben, damit auch Leute aus anderen Milieus auf den Kanal stoßen und ein Interesse entwickeln. Zum anderen werde ich im offiziellen Bewerbungsprozess hinzuschreiben, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrung bevorzugt sind. Sonst geht es einfach nicht. Du musst diese Leute anders und direkt ansprechen, weil sie sich selbst nicht in diesen Positionen sehen. Es ist aber dennoch nicht so schwer, wie meine Kollegen in den Chefredaktionen gerne behaupten – aber wahrscheinlich werden sie diese Ansicht auch weiterhin vertreten und einfach irgendwann unsere Leute abwerben. Das soll mir dann aber auch recht sein.
3. Kritik an dem Auswahlprozess dürfte absehbar sein, oder? Bei einer ähnlichen Ausschreibung sprach der Mediensprecher der FPÖ gar von „Inländerdiskriminierung“.
ORF Sport hat im vergangenen Jahr eine Praktikumsausschreibung gelöscht, die sich ganz explizit auch an Menschen mit Migrationshintergrund gerichtet hatte. Der Sender hat darauf offenbar zahlreiche Beschwerden bekommen. Ich hätte mir vom ORF wirklich mehr Reflexion dazu gewünscht. Wegen ein paar Beschwerden wird ein so harmloser Post gelöscht, während sich Migrantinnen seit Jahren beschweren, dass es zu wenige von uns in der Branche gibt. Man kann nicht einen Missstand beheben wollen und dann aber nichts dafür tun wollen.
4. Vielleicht ist dieser Wunsch in den Chefetagen doch nicht so stark, dass man bereit wäre, öffentlich dafür einzustehen.
Ich verstehe nicht, wie man so wenig strategisch denken kann. Denn auch als Geschäftsmodell wird diese Homogenität bald schon keinen Sinn mehr machen. Ich sehe das doch in der jungen Zielgruppe: Die wollen ganz selbstverständlich Diversität, auch wenn sie nicht selbst betroffen sind. Auch die weiße 19-jährige Anna aus akademischem Haushalt will in einer Redaktion arbeiten, die möglichst viele gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt.
5. Bei Die_Chefredaktion heißt Diversität ja nicht nur, migrantischen und nichtakademischen Realitäten gerecht zu werden, sondern eben auch die gesamte junge Nutzergruppe abzuholen. Die gilt in vielen Medienhäusern traditionell als „große Unbekannte“. Welche Rolle spielt Journalismus denn für Menschen zwischen 14 und 24?
Er spielt jedenfalls nur dann eine Rolle, wenn sich die jungen Menschen in den Themen, den Protagonistinnen und Journalistinnen wiederfinden. Journalismus muss dahin, wo diese Zielgruppe ist – und das ist eben Social Media. Derzeit eignet sich vor allem Instagram dafür. Gleichzeitig müssen Redaktionen Kritik und Anregungen von Nutzerinnen und Nutzern viel ernster nehmen. Es wurde beispielsweise kritisiert, dass wir keine Untertitel bei unseren Videos hätten – damit würden schließlich Gehörlose ausgegrenzt. Damit hatten sie ja total recht. Jeden Tag fordert die Zielgruppe also Mitsprache ein und zieht dann auch schnell weiter, wenn man das nicht ernst nimmt. Bei den klassischen Medien war sie sowieso nie da, aber auch wir müssen sie halten und mit ihr gehen. Wenn traditionelle Medien das auch wollen, müssen sie sich wohl komplett umstrukturieren und neu aufstellen.
Das
ganze Interview finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Magazins „journalist:in“.